Die erste weiß gefüllt blühende Netzblattpäonie

Weiß blühende Netzblattpfingstrosen

Die Netzblattpfingstrosen ( Paeonie tenuifolia) sind ein  ganz besonderer Gartenschatz. Keine andere Päonienart weist ein so filigran  gegliedertes Laubwerk auf wie P. tenuifolia. Mit einer  Blütezeit etwa ab Ende April (Mitteldeutschland) ist sie eine der frühest blühenden Arten, die mit einem besonders leuchtenden Blutrot (ohne Blautöne) auf sich aufmerksam macht. Die kurze Blütezeit der Einzelblüte ist bei der gefüllten Form der Netzblattpäonie deutlich verlängert. Insbesondere wegen der attraktiven Eigenschaften  der Netzblattpäonie ( Farnblattpäonie im englischen Sprachbereich) hat die  Nachfrage nach dieser  Päonienart in den letzten Jahren weltweit eine Zunahme erfahren. Dabei ist diese Päonienart schon seit längerer Zeit den Gärtnern bekannt.  1757 wurde sie zum ersten  Mal im Katalog des botanischen Gartens  Göttingen als feinblättrige Päonie  erwähnt.  Man nimmt an, dass Göttingen diese Pflanze vom botanischen Garten  Petersburg erhalten hat. Es gibt einen Hinweis darauf, dass P. tenuifolia bereits  1594 in deutschen Gärten bekannt gewesen sein

Erstmals schriftlich erwähnt wurde sie von dem Botaniker Johann Georg Gmelin (1709–1755), der sie Mitte des 18. Jahrhunderts auf einer Expedition entdeckte. C. LINNE hat sie 1759  botanisch beschrieben und 1765 wurde sie   nach  England eingeführt. 1779 wird  P. tenuifolia offensichtlich zum ersten Mal von einer Hamburger Gärtnerei zum Verkauf angeboten. 1838 wird von einem englischen Botaniker  eine gefüllte Form von P. tenuifolia beschrieben. Die Art muss zumindest den deutschen Gärtnern lange Zeit doch wenig bekannt gewesen sein, denn in einem Gartenbaulexikon von 1901 wird als Verbreitungsgebiet für die Art Sibirien angegeben.  Tatsächlich reicht das Verbreitungsgebiet  von Serbien über Bulgarien und Rumänien bis zur Ukraine und der Krim und den südrussischen Steppengebieten bis hin zu Vorkommen im Kaukasus. Überall gehen die Vorkommen im Ergebnis  insbesondere der stärkeren Flächennutzung zurück. Individuenreiche   Vorkommen  bieten bei gleichzeitiger Blüte  vieler Einzelpflanzen prächtige  Bilder.

Abb. 1: Ein reicher Bestand von P. tenuifolia im Päonien-Naturschutzgebiet im Gebiet Wolgograd (Aufnahme 2016)

Bildquelle: Kryptobasis, CC BY-SA 4.0  via Wikimedia Commons

 

Abb. 2:  Vorkommen von  P. tenuifolia auf der Krim

Bildquelle: Zeitschrift EUPATORIA – Erholung und Heilung April 2020

Bei einem so großen Verbreitungsgebiet ist eigentlich eine große Variationsbreite in der Merkmalsausprägung zu erwarten. Tatsächlich ist dies nicht bzw. nur eingeschränkt der Fall. Unterschiede in der Breite der feinen Fiederblätter oder Unterschiede in der Wuchshöhe der veranlassten Botaniker, eigenständige Arten abzugrenzen. HONG De-Yuan  hat 2010 diese  Merkmalsunterschiede als nicht wesentlich bewertet und weist nur eine Art aus - P. tenuifolia. Diese ist eine diploide Art mit 2n = 10 Chromosomen. Offensichtlich kann es in gärtnerischer Kultur zu Fremdbefruchtungen mit tetraploiden Arten kommen. Dies könnte die Ursache dafür sein, dass  Bastardformen auftreten, die wohl im Regelfall steril sind. Diese Formen weisen als Blütenfarbe ein Rot mit Blau-Anteilen auf. Über diese  Bastarden soll  in einem gesonderten Beitrag  berichtet werden.

Wie  ist der Stand bezüglich weiß blühender Netzblattpäonien ?

Interessant ist die Frage, ob es bezüglich der blutroten Blütenfarbe von P. ten. in der Blütenfarbe abweichende  Formen gibt. Tatsächlich ist schon seit längerer  Zeit eine rosa blühende Form bekannt. Auch von einer  rosa gefüllten Form wurde berichtet. Im Jahr 2010 fand Leo Smit ( Kanada) unter seinen aus Samen gezüchteten Pflanzen, die er in England gekauft hatte, eine gefüllt blühende rosablütige Form. H. MASCHKE hat durch ein spezielles Zuchtprogramm neue  rosafarbige P. ten.- Formen hergestellt, darunter die gefüllt blühende Sorte „Tante Fritzi“ (erste Blüte 2013) und die gefüllte Form TF 9.

2009 wurde in der „Gartenpraxis“  die Frage gestellt, ob es auch weiß blühende P. ten. gäbe. 2011 wurde erneute diese Frage aufgeworfen mit den Hinweis darauf, dass Päoniensammler von einer weißen P. ten. wüßten..  Aufnahmen solcher Pflanzen tauchten in der Literatur freilich nicht auf. Im gleichen Jahr teilt ein russischer Päonienliebhaber mit, dass er eine solche Form besitze. Ein russischer Päonienvermehrer bietet 2021 eine weiße blühende  P. tenuifolia  unter der Bezeichnung Alba an. Russische Päonienvermehrer bieten auch die  Form „Pjatigorsk“ an, bei der  die Blütenblätter am Grunde weiß gefärbt sind ( P. ten. alba-rubra).

Rein theoretisch kann erwartet werden, dass bei der rot blühenden Netzblattpäonie  im Ergebnis von Mutationen auch weiß blühende Formen auftreten. Weiße Mutanten sowie rosablütige  Formen sind ja auch bei der rot blühenden P. officinalis aufgetreten. Umgekehrt sind  bei der weiß blühenden P. lactiflora  rot bzw. rosa blühende Pflanzen aufgetreten. Aus den praktischen Beobachtungen ergibt sich, dass bei P. tenuifolia  wahrscheinlich nur sehr selten weißblütige Mutanten auftreten. Dabei ist zu bedenken, dass  die weiße Blütenfarbe bei P. tenuifolia wahrscheinlich auf  einer Störung der Farbstoffbildung (Päonidin) beruhen dürfte. Erfolgt eine entsprechende seltene Mutation bei einem der beiden vorhandenen Allele, so ist mit dem Auftreten eine rosablütigen Form zu rechnen, wenn eine  intermediäre Merkmalsausprägung vorliegt. Seit längerer Zeit ist eine solche rosablütige Netzblattpäonie  bekannt. Nicht bekannt ist, wo sie  entstanden ist. Abweichende seltene Genotypen können nur gefunden werden, wenn  rotblühende Formen in sehr großer Anzahl als samenvermehrte Pflanzen vorhanden sind. Dies ist bei individuenreichen Wildbeständen der Fall. Eine solche Situation liegt auch dann vor, wenn in Päoniengärtnereien durch Aussaat die rotblühende Stammform  in großen Stückzahlen vermehrt wird. In  diesem Fall kann  damit gerechnet werden, dass Formen gefunden werden,  bei denen beide an der Steuerung der  Farbstoffsynthese beteiligten Allele so mutiert sind, dass die Farbstoffbildung  blockiert wird und deswegen die Blütenfarbe weiß auftritt. Diese Schlußfolgerung kann aus Untersuchungen zur Genetik der Bildung der roten und blauen Blütenfarbstoffe abgeleitet werden.Tatsächlich hat W. GIEßLER in seinem  Vermehrungsmaterial erstmalig im Jahr 2009 eine solche einfach weiß blühende Mutante  aufgefunden.  

Diese Form wurde im Jahr 2013 als  Sorte „Weiße Perle“ bei der amerikanischen Päoniengesellschaft registriert. 

Abb 3:  Die „Weiße Perle“

Später wurden noch  weitere weiß blühenden Mutanten mit zum Teil besseren  Blüteneigenschaften aufgefunden.

 

Abb 4: eine weitere weißblühende  Form  der Netzblattpfingstrose

 

Interessant dabei ist, dass es sich bei dem jeweiligen Material immer um Nachkommenschaften handelte, an deren Entstehung die  rosablütige Form von P. tenuifolia  beteiligt war. Diese liefert offensichtlich  das Allel, welches  die Bildung des roten Farbstoffes blockiert. Diese Blockade ist nicht ganz vollständig. In der Regel weisen alle weißen Formen ganz leichte Rosatöne auf. W. GIEßLER steht heute ein genetisch divergentes Ausgangsmaterial zur Verfügung, um zu versuchen, durch entsprechende Kreuzungen   weiß gefüllte Netzblattpäonien herzustellen. Einen Weg dazu hatte  A. MASCHKE für  rosa gefüllte Netzblattpäonien bereits 2013 beschrieben.

Nur durch praktische Kreuzungsversuche kann geklärt werden, ob es sich bei dem Merkmal weiße Blüte um ein monogen vererbtes Merkmal handelt oder ob mehrere Faktoren  die weiße Blütenfarbe  beeinflussen. Außerdem ist wichtig zu wissen, ob es sich tatsächlich beim Auftreten der weißen Farbe um eine Blockade der Farbstoffsynthese handelt.   Typisch für  die „Weiße Perle“ sind relativ kleine Blüten, die sich nur wenig öffnen und das hellgrüne Laub – beides Eigenschaften, die auf Stoffwechselstörungen hindeuten.

Zwischenzeitlich (2021) hat Wolfgang GIEßLER  die ersten weiß gefüllt blühenden Netzblattpäonien in seinem Zuchtmaterial aufgefunden – ein großartiger Erfolg in der Päonienzüchtung !  Weiblicher  Kreuzungspartner war dabei die rosa gefüllt blühende TF 9 von MASCHKE, die  mit einer einfach weißblühenden Geschwisterlinie der „Weißen Perle“ gekreuzt wurde.

Abb 5: Die erste weiß gefüllt blühende  Netzblatt- Pfingstrose im Vergleich mit den gefüllt rot  bzw. rosa blühenden Formen

Abb  3 – 5: Bildautor: Gießler Päonien-Kulturen Groß Rosenburg